Bengalurus Flüsse

Vishal KumaraswamyKünstler
6.12.2021
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Bengalurus Flüsse (ಬೆಂಗಳೂರಿನ ನದಿಗಳು) Bengalurus Rivers (Arbeitstitel, deutsch: Bengalurus Flüsse) ist ein Forschungs­projekt, das die Geschichte der Migration, der Besiedlung und der sozialen Hierarchien des Kasten­wesens entlang der Flüsse, die Bangaluru oder Bangalore versorgen, sondieren und aufzeichnen soll. Das Projekt, das aus meiner künstler­ischen, forschungs­basierten Praxis hervor­gegangen ist, hat seine Wurzeln in ökologischen und ökonomischen Aspekten meines Forschungs­rahmens – dem Subalternen Futurismus.

Das Entlanggehen an und Beobachten von Flüssen hat eine lange Tradition in der zeit­genössischen Kunst, aber auch in der Stadt­forschung, der Umwelt­forschung, der Anthro­pologie usw. Das Nach­verfolgen von Flüssen oder Fluss­betten wird hier als Methode verstanden, sich wieder mit der organischen Welt zu verbinden und als ein Ansatz zur Unter­suchung der sich immer wieder verschiebenden Grenzen, die durch Trocken­legung und Stadt­entwicklung neu festgelegt werden. Die Unbeständigkeit durch die jederzeit drohende Umwidmung und die allgegen­wärtige Gefährdung der bewohnten Gebiete oder der vor- bzw. nachher bewohnten Gebiete wird deutlich. Einerseits ist die Aussichts­losigkeit des Bemühens, die Natur in einen Käfig zu sperren, sichtbar, andererseits auch die Kontrolle und Steuerung der Bürger*innen durch die Einschränkungen darüber, wie sie wo und warum mit der Natur zu interagieren haben. Mit der daraus folgenden ständigen Betonung, dass die Natur etwas sei, das sich „jenseits der Vorstellungen darüber, woraus eine Stadt besteht“ befinde, und der Erfindung und Propagierung eines standardisierten Modells für menschliches Wohnen, werden stets die Interessen des Kapitals bevorzugt gegenüber dem Wunsch der Menschen nach Nähe zum organischen Leben. Die Mythen, die sich um dieses Modell ranken, ermöglichen, dass sich die Eingrenzung innerhalb des gitternetz­artigen Systems der Kontrolle, die auf die Menschen innerhalb seiner Außen­posten ausgeübt wird, immer wieder reproduziert.

Unter den vielen Geschichten von Bangalore/Bengaluru, die von seinen Ursprüngen als lockerer Zusammen­schluss kleiner Dörfer und Weiler über ein britisches Kantonment bis hin zum Silicon Valley des Ostens in heutiger Zeit reichen, wird eine Geschichte oft ausgelassen: die Geschichte des Wassers, das in diese Stadt fließt und wo es sich ansammelt. In der Vergangenheit ließ Kempe Gowda (1510–1596) über hundert Seen und Reservoire anlegen, um die wachsende Ansiedlung mit Wasser zu versorgen. Dennoch wird wenig von der Geschichte der Wasserläufe berichtet, von den Regenfällen, Quellen, Kanälen bis hin zu den Wasser­straßen, der zyklischen Reise vom Wasser­becken zum Fluss und zurück. Aber ich interessiere mich für das Wasser selbst als Metapher, als eine Möglichkeit, die Menschen zu würdigen, die in der Nähe des Wassers leben, indem ich die Grenzen seiner Reise nachverfolge. Die Flüsse, die nach Bengalaru fließen, nehmen die reiche Geschichte der Gemeinden in ihr Wasser auf und versuchen, die kontinuierlich wachsende Metropole zu versorgen.

Obwohl dieses Projekt forschungs­lastig ist, drückt es vor allem den Wunsch aus, ein persönliches Archiv zu dokumentieren und zu schaffen, und zwar durch verbale und gestische Kommunikations­formen zwischen subalternen und bahujanischen (Anm.: Angehörige der untersten sozialen Gruppe im indischen Kastenwesen) Gemeinschaften wie der meinen und denen, die an diesen Flüssen leben. Es ist als Langzeit­projekt ohne konkretes Ergebnis angelegt, ohne die Absicht einzuordnen oder zu assimilieren. Und ich kann mir vorstellen, dass sich aus diesen Gesprächen eine Gestalt formt. Oder auch nicht.

Bild über Wasserknappheit

Unter den vielen Fragen, auf die ich mir Antworten erhoffe, ist die wichtigste, „Können diese Flüsse, die unsere Geschichte enthalten, uns auch von unseren Kasten und dem Kapital befreien?“

Biografie

Vishal Kumaraswamy ist ein Künstler, der in Bangalore lebt. Er arbeitet mit Text, Film, Sound, Performance und Computerkunst und bewegt sich zwischen theoretischen Bezügen, Nachrichten­medien und Kasten­realitäten. In den letzten drei Jahren hat Vishal Kumaraswamy sich aktiv an der Entwicklung eines kritischen pädagogischen Rahmens mit dem Namen Subaltern Futurism beteiligt, unter dem künstlerische Forschung, Praxis und die technologische Ausbildung der subalternen Gemeinschaften dieses Zusammen­hangs gesammelt werden.

Vishal Kumaraswamys Arbeiten wurden in verschiedenen inter­nationalen Aus­stellungen gezeigt, unter anderem im Research Pavillon der Biennale Venedig, dem Athens Digital Arts Festival, CCS Bard College, Vector Festival, The Royal College of Art & Furtherfield und wurden von VIVO Media Arts Centre, Vancouver gezeigt. Er hatte Wohn- und Arbeitsstipendien des US-amerikanischen Generalkonsulats in Mumbai, des Contemporary Calgary in Alberta, SAVAC Toronto, Vital Capacities videoclub UK und Onassis AiR. Vishal Kumaraswamy erhielt Stipendien des Australia Council for the Arts Transmitter Delhi X Darwin und des Warehouse421 Artistic Research (2021). Seit 2022 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Contemporary Art Derry-Londonderry. Aktuelle Projekte sind Arbeiten für SITE Gallery Sheffield und das Contemporary Calgary, Kanada.

Er ist Gründer des internationalen Künstler­kollektivs Now You Have Authority (www.nyhacollective.com), eine Kollaboration, in deren Rahmen er Ausstellungen kuratiert, Wohn- und Arbeitsstipendien organisiert und Workshops im Rahmen des Tate Exchange Programms der Tate Modern, des Tanz­festes Aarau und der Sluice Biennale gegeben hat. Außerdem verfolgt er freie kuratorische Projekte mit Fokus auf zeitgenössische künstlerische Praxis in Südasien und mit seinem letzten Projekt www.the-lack-of.com war er an der The Wrong Biennale 2019–2020 beteiligt.

Übersetzung: Anne Pitz

VOILÀ ist ein Kooperationsprojekt von MM, M und der Stadtgalerie Saarbrücken. Das Projekt wird gefördert von der Stiftung Kunstfonds (NEUSTART KULTUR, Projektförderung für kunstvermittelnde Akteur*innen) und Saarland-Sporttoto GmbH.

VOILÀ is a collabarotive project by MM, M and the Stadtgalerie Saarbrücken. The project is funded by the Stiftung Kunstfond (NEUSTART KULTUR, project funding for art-mediating actors) and Saarland-Sporttoto GmbH. 
VOILÀ est un projet de coopération entre MM, M et la Stadtgalerie Saarbrücken. Le projet est soutenu par la fondation Stiftung Kunstfonds (NEUSTART KULTUR, Projektförderung für kunstvermittelnde Akteur*innen) et Saarland-Sporttoto GmbH.