Zeichnungen vom Wasser:
Oberfläche,
Tiefe, Farbe
und Rohrleitungen
14.12.2021
Die Arbeit mit Wasser, Tusche und Aquarell begann ich dieses Jahr in Kerala während der Monsunzeit, die inzwischen seit sieben Monaten andauert. Das indische Pattiam, ein Ort im Distrikt Kannur, ist Teil der Region Malabar im Bundesstaat Kerala, der für seine besonders feuchten Monsune bekannt ist. Andere Regionen in diesem Bundesstaat werden regelmäßig überflutet, in einigen gibt es jedes Jahr Erdrutsche. Trotz des unablässigen Regens wird Pattiam dank seiner hügeligen Landschaft normalerweise nicht überschwemmt.
In diesem Text skizziere ich meine Erfahrungen, die ich mit Wasser, Tusche und
Aquarell bei meinen Landschaftsbildern in Pattiam, wo ich zurzeit lebe, machte.
Voraussetzung
Regen seit dem 25. April. Nichts trocknet. Der Computer bricht zwei Mal zusammen,
Kurzschluss durch die Luftfeuchtigkeit, beim zweiten Mal irreparabel. Kameraknöpfe
rosten ein. Ein langer, nicht nachlassender Monsun; schädlich für die Elektronik. In
einem Haus leben und trotzdem nicht vom Wetter abgeschirmt sein. Die Feuchtigkeit
durchdringt alles: Pappe wird biegsam, Papier weich, Holz zerfasert. Wenigstens
funktionieren Dinge, die man regelmäßig benutzt, wie das Telefon oder Schuhe.
Situation
Denken in Form von Zeichnen und dieses Klima, das die Elektronik unbrauchbar macht.
Arbeitsmittel/Material
Wollte mit Aquarellstiften arbeiten. Nachdem ich sie einige Wochen benutzt habe, wird
das Holz brüchig, Pilze bilden sich an den Farben, die nicht so oft verwendet werden.
Die Klinge des Anspitzers rostet, schneidet das Holz nicht, sondern zerbröselt es nur
noch. Die Minen werden so weich, dass die Spitze nach einem einzigen Aufsetzen oder
einer Linie stumpf wird, die sonst von diesem Werkzeug zur Verfügung gestellte
Präzision geht verloren.


Ein ausschließlich auf Wasser basierendes Arbeitsmaterial passt besser zu diesen klimatischen und wohnlichen Bedingungen, besonders wenn sich die Farbe ausbreiten darf. Das bietet geringeren Widerstand, etwas Kontrolle und sehr viel Emotion.
Kulam
Das കുളം (Malaiisch, kulam) ist ein traditionelles kommunales Naturwasserbecken
im
Ort, welches auf natürliche Weise aus Grund- und Regenwasser gespeist wird. Sein
Standort und seine Bauweise beruhen auf der Höhe des Geländes und die Erde wurde tief
genug ausgehoben, um das Grundwasser in etwa vier Metern Tiefe zu erreichen.
Versuche es mit schwarzer Tusche auf Papier zu zeichnen – monochrom, um mich auf die
Form zu konzentrieren und dabei nicht von Farbe überwältigt zu werden. Es geht darum,
Wasser darzustellen und beim Zeichnen zu verstehen, wodurch es sichtbar wird.
In diesem Fall hier befindet sich das Wasser in der kubischen Form des dreidimensionalen Beckens; was man sieht, ist nur seine Oberfläche (Oberfläche als Ansicht). Eine leicht aus der Bildmitte gerückte, dunkle amöbenartige Form und die Leere ohne Algen vermitteln den Eindruck seiner Tiefe. Die helleren Töne auf der Oberfläche stellen Reflexionen des umgebenden Blätterwerks dar. Wenn es regnet, zerreißen die fallenden Regentropen diese Oberfläche. Beim Auftreffen jedes Tropfens kräuselt sich die Oberfläche an unterschiedlichen Punkten und verliert die Fähigkeit, irgendetwas zu reflektieren. Mit dem Verlust dieser Lichtdurchlässigkeit erscheint die sonst ruhige, glatte Oberfläche als Dunkelheit (oder Tiefe). Entgegen meiner Erwartung stören Regentropfen die Algenstrukturen nicht, die in diesem unbenutzten Gewässer Klumpen gebildet haben und durch seine Stille weitere Nahrung erhalten.
Gesten
Schwungvoll mit breitem, flachen Pinsel auf Papier aufgetragenes Wasser, um Wasser als
Wasser wiederzugeben (Abb. 3):

— zu nass; unmöglich, die geraden Linien zu einzuhalten, die die Laterit-Mauern des Beckens darstellen.

Nass in perspektivischem Quadrat, nur auf den vom Wasser bedeckten Bereich aufgetragen (Abb. 4).
Form
Ein Quadrat, perspektivisch, mit einer Öffnung, um in das Becken herunterzusteigen.
Die Pflanzen unter Wasser reichen bis an die Oberfläche, ein leuchtendes Grün. Die
Tusche breitet sich über die nasse Fläche aus und lässt nicht genug Details zu, um die
Pflanzen darzustellen.
Das Wasser selbst, das bloß die Form dessen annimmt, wovon es umschlossen wird, ist nicht, was dieses Bild ausdrückt. In diesem Fall steht das Wasser für: die Oberfläche, Reflexionen und leeren Bereiche einer Oberfläche, außerdem für die verstreuten Algen, deren Ränder durch die Kanten der Laterit-Mauer des Beckens erkennbar sind.

Wasser in einem Medium auf Wasserbasis darzustellen, erleichtert seine Codierung in die Sprache der Komposition.
Der einsetzende Regen befeuchtet die Aquarelle, die Grautöne sickern ins Weiß. Wenn es regnet, ist die Wasseroberfläche des Beckens dunkel, ohne Reflexionen, wie eine geweitete Pupille am Tag: es sieht verkehrt aus, es scheint etwas zu fehlen.
Wenn es nicht regnet, ist die Oberfläche unbewegt, so wie die Algen, die seine Reglosigkeit erhalten. Es könnte auch eine Fotografie sein, wären da nicht die Lichtveränderungen durch vorüberziehende Wolken oder die untergehende Sonne. (Bewegung bekommt ein Aquarell durch Überlagerungen, was daher langwierig ist.)

Nach einer Fotografie zu zeichnen bedeutet, die Fotografie zu zeichnen. Ohne die Möglichkeit, das zu berühren, was man zeichnet, ohne diese Feuchtigkeit das Materials, wird es ein Abbild von einem zweidimensionalen Bild. Es macht die ursprünglich gestellte Aufgabe zunichte: Wasser zu zeichnen/es in seinem Kontext darzustellen.
Wasserstelle
Das Wasser ist zu weit entfernt in seiner zylindrischen Tiefe und seinem Raumvolumen
(es kann nicht gefühlt oder berührt werden). Ich könnte einen Eimer in die Vertiefung
herablassen, um ans Wasser zu kommen, aber dann würde es Wasser aus dem Eimer sein,
das nichts mit der Wasserstelle zu tun hätte, schon gar nicht als Bild ︎︎︎ das
Wasser
einer Wasserstelle interessiert mich mehr als ein Eimer (zu banal).

Die Wasseroberfläche, die zu tief für den Wind liegt, bewegt sich nur, wenn die Motorpumpe Wasser aus der Tiefe in den Hochbehälter pumpt oder wenn Blätter auf sie herabfallen. Sie sind schwer zu zeichnen, es sei denn, ich bewege die Hand genauso schnell wie sich die Wasserringe ausbreiten.
Das Bild erschließt sich, wenn ich davon ausgehe, dass es statisch ist. Es ist (in meiner Erinnerung) ein Halbmond voller Dunkelheit, der einen Halbkreis aus Licht umschließt, in dem sich das Blätterwerk von oben und das Maschennetz des Brunnens im Gegenlicht des Himmels spiegeln. Der Blickwinkel, als wäre man in der Wasserstelle und wollte nach oben in den Himmel schauen.

Das daraus entstandene Aquarell gibt diese Tiefe wieder; die Unmöglichkeit, das Wasser zu berühren, einen flüchtigen und schwachen Eindruck der Beckenmauer, des Himmels, des Maschennetzes sowie des Blattwerks auf dem Wasserspiegel, mit einer Andeutung von Schläuchen und Leitungen ︎︎︎ nicht so sehr das Wasser selbst, sondern ein Umkehrbild.
Regenfälle
Der Wald sieht im Regen irgendwie blaugrün aus (zwischen Himmelblau und Grünspan). Es
ist die Farbe des Wassers auf den Blättern und das Verschwimmen von allem, auf die ein
und dieselbe Kraft wirkt.

Unter dem Dach habe ich Abstand (Schutz) vor dem Regen, den ich durch diese Gesten mit Farbe überbrücke, die von der Absicht geführt sind, das aufzunehmen, was er mit der Landschaft macht. Diese Bilder produziere ich rasch und versuche, dem Rhythmus und der Intensität des Regens zu folgen.


Das Papier muss die Feuchtigkeit aushalten und darf sie nicht ganz aufsaugen, damit die Fläche das Bild aufnehmen kann.
Es geht nicht so sehr um die Darstellung des Wassers, sondern eher um die Nässe und das jetzige Ineinanderfließen der Umgebung. Die Bilder, die hierbei entstehen, sind präsent, aktiv, aber sie überleben den Augenblick ihrer Entstehung, in dem sie tatsächlich aufgezeichnete Gesten sind, mit denen ich versuche, den starken, unaufhörlichen Regen zu erfassen, nicht unbedingt. Dank der Breite und Dichte des Blätterdachs kann ich den näher kommenden Regen sechs Minuten vor seiner Ankunft hören – wie das Rauschen des Meeres in der Ferne, mit dem gleichen Gefühl der Weite.
Regen/Aufnahmen
Ein Aquarell von einem Bambus, versehentlich draußen im Regen liegen geblieben (Abb.
12). Das ursprüngliche Bild ist weggewaschen, aber die Regentropfen hinterlassen ihre
Spuren in der Farbe.

Ein weiteres Aquarell, diesmal absichtlich draußen gelassen (Abb. 13). Eine erste Schicht aus Farbe, die vollständig weggewaschen und eine zweite Schicht, die ebenfalls weggewaschen wurde, tragen dazu bei, das Bild zusammenzusetzen.

In diesem Bild überlagern sich drei Gewitter im Abstand von einigen Tagen. Das dritte, das nicht so schwer wie das zweite war, lässt die Tusche nach innen in Richtung Bildmitte verlaufen, während die Papierränder den Regen/das Wasser absorbieren.
Die Praxis der Darstellung wird zur Wahrnehmung – einer Suche nach Nähe im Abstand und nach Abstand in der Nähe, während einige Gewitter vorüberziehen und das Wasser vermittelt.
Übersetzung: Anne Pitz