Was wird sichtbar?
Projekt-Rückblick

Katharina Ritter, M.A.
Künstlerische Leiterin Stadtgalerie Saarbrücken
23.12.2021

Gemeinschaftliche Prozesse sind intensiv: Spezifische Arbeits- und Ausdrucks­formen treffen aufeinander, die Beteiligten lernen sich oft­mals erst während der Projekt­arbeit kennen. Alle bringen unter­schied­liche Kriterien und Maß­stäbe mit. Die viel­gestaltigen Anforder­ungen in einem Projekt zu gestalten und nicht von ihnen ver­ein­nahmt zu werden, ist eine perma­nente Heraus­forder­ung. Zeit spielt immer eine Rolle.

Nachhaltige und vielfältige Zusammenarbeit entsteht bei fairen Arbeitsbedingungen. Wie nachhaltig und vielfältig die Arbeitsbedingungen tatsächlich gestaltet werden können, zeigt sich erst im Tun; wenn bereits die Dinge anstehen, die dann getan werden müssen, verstärkt während einer Pandemie. Konzept entwickeln, Antrag stellen, lange warten, Konzept anpassen, sehr kurzfristig alles planen, alle einladen und währenddessen weiter an anderen Projekten arbeiten. Zeit spielt immer eine Rolle.

Für alle Beteiligten entwickelt sich ein Projekt ausgehend der spezifischen Interessen anders. Die Stadtgalerie Saarbrücken gestalte ich als einen Ort der kritischen Zuversicht: Internationale Künstler*innen treffen sich hier mit der Bevölkerung, unterschiedlichen Szenen und Fachbereichen. Gemeinsam werden Strategien für eine wünschenswerte Zukunft entwickelt. Mir ist wichtig, lokale Themen, die aktuell für viele von Bedeutung sind, mit globalen Entwicklungen zu verbinden. Die Dringlichkeiten unserer Zeit erfordern die Verbindung verschiedener Kompetenzen. Auch Kulturschaffende mit verschiedenen Berufserfahrungen arbeiten mit. Die Stadtgalerie öffnet das Denken, teilt Wandel und beteiligt sich im Prozess an notwendigen Diskussionen. Aus dem Zentrum der Stadt heraus werden weitere künstlerische Projekte im Stadtraum umgesetzt. Auch in der Grenzregion ermöglicht die Stadtgalerie neue Formen der Zusammenarbeit und multidisziplinäre Projekte.

Die kunstvermittelnde Akteurin Martha Bayer hat das Projekt VOILÀ im Schaufenster von MM, M initiiert und mich eingeladen, gemeinsam ein Konzept für die Reihe zu entwickeln. Ich habe Leo Scheidt als kuratorische Assistenz angefragt und ZEFAK als Künstler*innen-Kollektiv eingeladen. Leo und ich haben Vorgespräche mit ZEFAK zu verschiedensten Kontexten im Saarland geführt, wie dem Bergbau und der jetzigen Situation der Gruben, Erdbeben und Strukturwandel, Stadtautobahn, Situation für Kulturschaffende und Allgemeines zur Grenzregion. ZEFAK kam auf Recherchebesuch.

Im gemeinsamen Projektverlauf ging es dann oft um künstlerische und kuratorische Arbeit und um die Rollen der Akteur*innen. Um Zugangsweisen, Formen von Wissen und deren Vermittlung, um ökonomische, soziale und kulturelle Aufmerksamkeit. Wer entscheidet, wer vergibt und nimmt einen Auftrag an? Was heißt Zusammenarbeit? Absprachen und fehlende Absprachen zu Autonomie im kollektiven Prozess waren ständige Begleiter. Kunstvermittelnde Autor*innen, Fotograf*innen und Videokünstler*innen begleiteten das Projekt ständig: Sie analysierten und ergänzten, gingen auf erweiterte Kontexte ein und unterstützten die Arbeit regelmäßig mit neuen Beiträgen. Wie wirken sich Vorhaben und die Auseinandersetzung mit komplexen Zusammenhängen auf andere Bereiche aus, wie auf kollektive Seh- und Denkgewohnheiten? Im aktuellen Prozess blieben ZEFAK immer bei ihrer eigenständigen Herangehensweise. Statt Übersetzungsarbeit und etablierte Präsentationsformen zu leisten, schafften sie aktiv permanenten Austausch und Verständnis für komplexe Zusammenhänge und Prozesse. Zeit spielt immer eine Rolle.

Meine Frage war durchgehend, wie Wertschätzung für alle Aspekte, Perspektiven und unterschiedliche Seiten einer Geschichte geschaffen werden können. Gerade wenn eigentlich keine Zeit da ist.

ZEFAK haben in Where the River resides Wasser als Ressource und alte Bergbaustollen - die Historie wie auch die Zukunft von Ressourcengewinnung - zu ihrem Thema gemacht. Zainab Haidary in einer der Videos von Philip Majer zur Arbeit von ZEFAK: „Uns liegt daran, an dem, was hier passiert, teil zu haben. Wenn man involviert ist, dann gibt es immer einen Weg, miteinander zu interagieren oder gemeinsam eine Lösung zu finden. Oder wie können wir Dinge rund um einen Diskurs auf unterschiedliche Weisen entwickeln, wie können wir beispielsweise, als Künstler*innen, einen Beitrag zu diesem Thema leisten?“

„Uns liegt daran, an dem, was hier passiert, teil zu haben. Wenn man involviert ist, dann gibt es immer einen Weg, miteinander zu interagieren oder gemeinsam eine Lösung zu finden.“ Zainab Haidary

Ihre Herangehensweise und Arbeit haben zu einer starken Betroffenheit unterschiedlichster Besucher*innen und Beteiligter geführt. Teilhabe entstand auch durch unterschiedliche Veranstaltungen. Mein Spaziergang #TransformierteRessource von der Stadtgalerie zum Designbüro MM,M und zur Arbeit von ZEFAK basierte auf mehreren Fragen: Inwieweit sind unsere alltäglichen Bewegungen gelenkt, um Ressourcengewinnung zu ermöglichen? Was spielen Kunst und Kultur für eine Rolle in diesem Kontext? Gegenseitige Wertschätzung – auch von verschiedenen Berufsgruppen – ist nicht immer einfach. Für alle geht es um eine wünschenswerte Zukunft. Die eigene Ausbeutung, die Ausbeutung der Erde und anderer ist ein täglicher Widerstreit. Durch Privilegien, Ängste, existenzielle Schwierigkeiten etc. stellt sich für alle Beteiligten die Situation anders dar. Alleine lässt sich weder im Bergbau noch bei kontroversen Zukunftsthemen viel bewerkstelligen. Der Ohnmachtserfahrungen aufgrund der Verschleppung relevanter Themen müssen wir gemeinsamen Austausch entgegensetzen. Die Antworten auf die Ausgangsfragen des Spazierganges waren weitere Fragen zitiert aus „worklove. Ein Fragebuch von Joni Majer und Birte Spreuer, Von der Liebe zur Arbeit – und der Arbeit an der Liebe“.

Die Finissage startete vor dem Schaufenster mit einem letzten Blick auf die Arbeit Where the River resides. Gemeinsam wurde das Grubenwasser des Wasserfalls in Kanister gepumpt. Alle Besucher*innen bekamen in kleinen Gruppen einen Kanister. ZEFAK verteilte an jede Gruppe 5 Fragen zum Thema „betroffen sein“. Die Kanister-tragende Person beantwortete diese Fragen auf dem Weg zur Saar. Die Beteiligten konnten auch tauschen, Kanister tragen und Fragen beantworten oder zuhören. Das Wasser wurde dann zurück in die Saar gegeben. Anschließend gab es im Veranstaltungsraum der Stadtgalerie Saarbrücken den letzten Videobeitrag von Philipp Majer zum Projekt zu sehen und weiteren Austausch. ZEFAK hat mit diesem abschliessenden Moment, gemeinsam das Wasser zurückzuführen, uns alle betroffen gemacht und uns mit dem Wasser verbunden.

Als Modellprojekt für Zugänglichkeit von Kunst kommt wieder die Zeit ins Spiel. Eine werdende künstlerische Arbeit zu vermitteln heißt, Wissen anders zugänglich zu machen und neue Wege der Auseinandersetzung zu schaffen. Kunst ist ein unsicheres Feld, Übereinkünfte über Kunstwerke müssen immer wieder neu verhandelt werden. Den anhaltenden Spannungszustand zwischen Konventionen zu Kunst und der Offenheit von Kunst, müssen alle Beteiligten aushalten. Unsicherheit und Irritation gehören zur Kunst. Die Stärke von Kunst und Kultur ist, unterschiedliche Perspektiven auf schwierige Themen zu öffnen und eine Zugänglichkeit für verschiedene Besucher*innen zu schaffen, die sich über diese miteinander austauschen und verbinden. Um Geschichte in Relation zu Gegenwart und Zukunft setzen zu können, müssen wir Geschichten anders erzählen. Im Saarland haben wir nicht nur die Chance Industriekultur zu pflegen, sondern sie zu nutzen um zu lernen eine wünschenswerte Zukunft zu gestalten und unsere Ressourcen zu pflegen.

Um diesen Resonanzraum zugänglich zu machen bedarf es Zeit, Ressourcen und Akteur*innen.

VOILÀ ist ein Kooperationsprojekt von MM, M und der Stadtgalerie Saarbrücken. Das Projekt wird gefördert von der Stiftung Kunstfonds (NEUSTART KULTUR, Projektförderung für kunstvermittelnde Akteur*innen) und Saarland-Sporttoto GmbH.

VOILÀ is a collabarotive project by MM, M and the Stadtgalerie Saarbrücken. The project is funded by the Stiftung Kunstfond (NEUSTART KULTUR, project funding for art-mediating actors) and Saarland-Sporttoto GmbH. 
VOILÀ est un projet de coopération entre MM, M et la Stadtgalerie Saarbrücken. Le projet est soutenu par la fondation Stiftung Kunstfonds (NEUSTART KULTUR, Projektförderung für kunstvermittelnde Akteur*innen) et Saarland-Sporttoto GmbH.